DER STANDARD-KOMMENTAR "Europa muss feiern lernen" von Josef Kirchengast

Die Inszenierung der britischen Monarchie ist auch eine Lektion für die EU – Ausgabe vom 6.6.2012

Wien (ots) – Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland gehört zu Europa – zumindest geografisch. Es gehört sogar zur Europäischen Union. Formal. Aber wem es bisher noch nicht klar war, der muss es nach den Festivitäten zum diamantenen Thronjubiläum der Queen erkannt haben: Aus den Briten werden so schnell keine EU-Europäer. Das ist die eine Botschaft dieser viertägigen Feiern, die teilweise schon rauschhaften Charakter annahmen und doch weit mehr waren als die brillante Selbstdarstellung einer Monarchie. Denn für eine bloße Inszenierung war die Stimmung unter den Briten offensichtlich zu authentisch, war die aktive Beteiligung, etwa am Bootskorso auf der Themse oder an den Straßenfesten, zu begeistert, waren die gezeigten Gefühle zu echt. Die andere Lektion betrifft gleichfalls die EU: Solange sie es nicht schafft, eine zeremonielle Kultur zu entwickeln, mit der sie sich selbst darstellt und feiert und die Bürger zum Mitfeiern gewinnt, wird sie deren Herzen nicht erreichen. Da hilft die ausgeklügeltste PR-Strategie nichts. Symbole und Anlässe gibt es. Aber wer weiß schon, dass die Zahl der Sterne in der EU-Flagge – zwölf – für Vollkommenheit und Einheit steht? Oder dass der seit 1986 am 9. Mai gefeierte Europatag auf die Erklärung von 1950 zur Kohle-Stahl-Union zurückgeht, die dann zum Kern der EU wurde? Und wie wird dieser Tag gemeinhin begangen? Mit fast verschämten Festakten im Hinterzimmer, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und in demonstrativer Abwesenheit von Spitzenrepräsentanten aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Der Tag müsste in der gesamten EU gesetzlicher Feiertag sein – damit fängt es an; dann fiele es auch leichter, angemessene Zeremonien unter größtmöglicher Beteiligung der Bürger zu entwickeln. Dass der politische Wille nicht einmal zu solch symbolischen Akten reicht, spiegelt den traurigen Zustand des Europabewusstseins wider. Das einzige Symbol von praktischer Bedeutung, das die Union bisher hervorgebracht hat, ist zum Ausdruck ihrer tiefsten Krise geworden: der Euro. Sein mögliches Scheitern steht für mangelnde politische Einigkeit. Politische Einigkeit setzt ein Mindestmaß an gemeinsamer Kultur voraus, wobei Kultur nichts anderes bedeutet als: den anderen verstehen und selbst verstanden werden. Nur so kann auch eine Basis für gemeinsames politisches Handeln entstehen. Das politische EU-Defizit folgt direkt aus mangelnder Anstrengung zur kulturellen Integration – aller Sonntagsrhetorik von gemeinsamen Werten zum Trotz. Von Jean Monnet, Spross einer französischen Kaufmannsdynastie und einer der Gründerväter der EU, der auch eine Schlüsselrolle in der Kohle-Stahl-Union spielte, ist der Satz überliefert: “Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich mit der Kultur beginnen.” Zeremonien und Rituale sind Kernelemente jeder Kultur, weil sie das Gemeinsame in verdichteter Form ausdrücken. Zugleich brauchen sie glaubwürdige Darsteller. Eines ohne das andere funktioniert nicht. Das ist das Geheimnis der britischen Monarchie – wie immer man zu ihr steht. Europa fehlt beides: gemeinsame Rituale und zumindest ein glaubwürdiger Repräsentant. Zu Letzterem wird man wohl nur über EU-weite Wahlen kommen. Wie man ihn dann nennt, ist nebensächlich. Dass er keine reale Macht braucht, zeigt das britische Beispiel. Jobbeschreibung: europäischer Zeremonienmeister.

Rückfragehinweis: Der Standard Tel.: (01) 531 70 DW 445

Digitale Pressemappe: https://www.ots.at/pressemappe/449/aom

 

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