Europa wird total umgebaut, und Österreichs Regierung schaut dabei in die Luft – Ausgabe vom 24.5.2012
Wien (ots) – Wenn es ein EU-Mitgliedsland darauf anlegen will, sein politisches Gewicht bei den Partnern auf ein Minimum zu reduzieren, muss es genau so vorgehen wie die österreichische Bundesregierung. Sie hat es am Tag vor dem EU-Gipfel geschafft, in einer wichtigen Frage zur künftigen Ausgestaltung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Zukunft der Gemeinschaft eine total widersprüchliche Position einzunehmen. Der Kanzler erklärte bei der Anfahrt, dass er die Konzepte des neuen französischen Präsidenten Francois Hollande teile, sich für Eurobonds – also gemeinschaftliche Schuldverschreibungen – ausspreche. Sein Vizekanzler und die Finanzministerin hingegen legten sich gegen eine solche Politik fest, weil die “von vorgestern” sei. Das könnte man als unwichtige Posse aus einem Zwergenland in den Alpen abtun – einfach als Folge dessen, dass die VP-Minister einer großen Koalition sich eben an der konservativen Kanzlerin Angela Merkel in Berlin halten, die Eurobonds als “verfrüht” ansieht, während der Kanzler (der bisher ganz im Windschatten Merkels agierte) sich nun an seinem neuen, mächtigen sozialistischen Parteifreund in Paris hält. Aber so einfach ist es leider nicht. Staatsinteressen fußen auf vielen Elementen: Kleine Länder haben andere Ziele als große; Euroländer andere als EU-Mitglieder, die ihre Währung auf- oder abwerten können; der Norden andere als der Süden usw. Österreich hat keine Position, kein eigenes Konzept, wie es sich die Zukunft der Union wünscht. Der Europaauftritt der Regierung erscheint stümperhaft. Das ist verrückt, weil ein Land mit so hervorragenden Wirtschafts- wie Sozialdaten und als Mitglied der Eurozone gerade in der schwersten Krise der Union beste Voraussetzungen hätte, gestalterisch mitzuspielen, legitime Vorschläge zu machen, Initiativen zu setzen: nicht aus EU-Idealismus, nein, aus reinem Eigennutz! Außerdem ist das unverantwortlich. In den kommenden Wochen könnte sich entscheiden, ob die EU und die Eurozone als solche überhaupt überleben wird, wo einzelne Länder dann bleiben. Die Wahlen in Griechenland Mitte Juni sind dabei nur der Katalysator. Manche Experten vergleichen die Lage mit der von 1989 und Folgejahren. Sie brachten nicht nur Umbrüche, sondern auch den Vertrag von Maastricht mit der Währungsunion. Womit wir bei Hollandes Eurobonds wären. Diese sind nichts anderes als eine Chiffre für die urfranzösische Forderung, mit dem Euro auch radikale Schritte hin zur Fiskal- und Sozialgemeinschaft zu setzen, bis hin zu einer EU-Regierung. Gemeinschaftliche Verschuldung in einem gemeinsamen Binnenmarkt ohne Grenzen ist aus Pariser Sicht normal. Der deutschen Kanzlerin geht das zu schnell. Sie will, dass die wenig wettbewerbsfähigen Partner zuerst ihre Strukturen reformieren. Gemeinschaftliche Verschuldung käme am Ende. Aber auch Merkel hat oft erklärt, dass es eine viel, viel engere Zusammenarbeit geben solle. Wie man dahin kommt, ist also eine Frage des Prozesses, der zeitlichen Abfolge. Berlin und Paris sind sich durchaus einig, dass das finale Ziel der europäischen Einigung eine echte Union sein könnte, wofür eine gründliche EU-Vertragsreform, breite Bürgerbeteiligung nötig wäre. Letztlich reduziert sich das auf die alles entscheidende Frage: Vertraut man auf ein gemeinsames Europa oder nicht? Nur Wien schaut bei all dem in die Luft.
Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
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