DER STANDARD-Kommentar "Märkte prügeln Eurounion herbei" von Thomas Mayer

“In der Krise rücken die Staaten der Eurozone Schritt für Schritt näher zusammen” – Ausgabe 30.6.2012

wien (ots) – Christine Lagarde hat Recht behalten. Die Eurozone wäre gut beraten, das Zaudern aufzugeben, ihre bereits zur Verfügung stehenden Finanzinstrumente zur Krisenbewältigung in den Eurorettungsfonds auch einzusetzen, sagte die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor einer Woche in Luxemburg. Das solle “flexibel und effizient” geschehen. Langfristig müsse der Weg zur Fiskalunion gegangen werden, mit demokratischer Kontrolle und strenger Führung der Mitgliedstaaten – so redete die frühere französische Finanzministerin den Eurofinanzministern ins Gewissen. Entscheidend seien jetzt aber Strukturreformen in Europa, “im Süden wie im Norden”. Die Zentralbank in Frankfurt müsse alle ihre Macht ausschöpfen, um die Angriffe der Märkte auf große EU-Länder wie Italien und Spanien abzuwehren – im Doppelspiel mit den Eurorettungsfonds. Und es müsse dringend zu Entkoppelung der Finanzierung der Krisenbanken von den Haushalten der Staaten kommen, die das finanzieren, weil deren Schulden die Arbeitswelt der Menschen erdrosseln. Sie die globale Sicht. Ihr Auftritt wurde von Beobachtern damals schon als extrem souverän eingeschätzt. Nach dem jüngsten EU-und Eurogipfel in Brüssel könnte man fast den Eindruck haben, Lagarde (und ihre Expertentruppe) sei so etwas wie das Mastermind für die Regierungschefs gewesen. So unfertig deren Beschlüsse im Detail auch erschienen mögen, sie haben ziemlich genau das vereinbart, was Lagarde anregte. Sogar das Motto “flexibel und effizient” haben sie übernommen: Spanische Banken etwa sollen nun über Mittel des Euroschirms stabilisiert werden, damit sich die Regierung in Madrid stärker auf die Sanierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft – Stichwort: Jugendarbeitslosigkeit – konzentrieren kann. Oder: Die Rolle der in der Eurokrise ohnehin bereits starke Zentralbank wird noch einmal zusätzlich befestigt: Sie soll eine “Superaufsichtsbehörde” für die Banken in der Eurozone kreieren und diese dann enger an die Leine nehmen. Daraus könnte, so der Plan, im weiteren Verlauf eine echte europäische “Bankenunion” mit geteilter Kontrolle und Haftung entstehen, wie wir das auf nationaler Ebene als selbstverständlich ansehen. Das zielt – so wie das Schlagwort der “Fiskalunion” oder der “Vereinigten Staaten von Europa” – natürlich auf Projekte mit einer zeitlichen Perspektive von mehreren Jahren. Aber es scheint sich zweieinhalb Jahre nach dem Ausbrechen der Eurokrise durch das Abdriften Griechenlands, Irlands und Portugals doch so etwas herauszubilden wie eine Dynamik für eine neue “Eurounion” – eine Kerngemeinschaft von Staaten innerhalb der EU. Dass diese sich beim Gipfel schriftlich darauf festgelegt haben, das Projekt einer Finanztransaktionssteuer im Dezember 2012 zu beschließen, gegen Großbritannien notfalls, ist ein kleines, aber wichtiges Indiz dafür. Die Ausbildung einer “echten politischen Union”, wie Ratspräsident Herman Van Rompuy in seinem Zulunftsreport schreibt, mag zwar weniger dem politischen Willen, als dem Druck der Märkte und den globalen Machtverschiebungen zu verdanken sein. Das ändert wenig am Gesamtbefund. Selbst die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die wahrlich nicht zu Visionen neigt, stellt sich darauf ein, dass eine große EU-Reform kommt.

Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: https://www.ots.at/pressemappe/449/aom

 

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