DER STANDARD-Kommentar: "Krisenländern fehlen Perspektiven" von Bettina Pfluger

Sparwut mit Folgen – Europa sollte eine soziale Explosion nicht riskieren // Ausgabe vom 24.07.2012

Wien (ots) – Und wieder einmal ist es so weit. Die Finanzprobleme spanischer und italienischer Provinzen sowie neue Haushaltslöcher in Griechenland rücken die Euro-Schuldenstaaten einmal mehr in den Fokus der Märkte. Die Anleihezinsen für Spanien (auch jene mit kurzer Laufzeit) liegen bei mehr als sieben Prozent auf Rekordhoch und haben damit einen Wert erreicht, mit dem sich das Land auf Dauer am Kapitalmarkt nicht mehr refinanzieren kann. Im Fahrwasser Spaniens trübt sich auch die Lage an Italiens Rentenmarkt ein. Der Druck auf diese Länder steigt. Salopp ausgedrückt könnte man auch sagen, dass nun wieder einmal erkannt wurde, dass Europa ein massives Schuldenproblem hat, das nicht über Nacht gelöst werden kann. Kein Beschluss eines EU-Gipfels wird daran etwas ändern, auch wenn die Märkte sich zwischenzeitlich davon beruhigen lassen. Erneut wird nun auch darüber spekuliert, ob die Hilfen für Griechenland noch gerechtfertigt sind oder es besser wäre (für wen?), das Land sich selbst zu überlassen. Die europäischen Politiker sind bisher angetreten, um den klammen Ländern aus der Patsche zu helfen. Das Finanzsystem wurde mit billigem Geld der Europäischen Zentralbank stabilisiert, ebenso fließt Geld aus den Rettungsschirmen in die leeren Staatskassen. Die Gegenleistung: harte Sparpakete und straffe Reformen. Was dabei bisher außer Acht gelassen wurde, ist die soziale Komponente. Streiks und Proteste gehören in Griechenland und Spanien bereits zur Tagesordnung. Das ist auch verständlich. Denn die harten Einschnitte – Reduzierung der Sozialleistungen, Steuererhöhungen oder Personalabbau im öffentlichen Dienst – haben der Bevölkerung bisher kaum etwas gebracht. Im Gegenteil: Die Arbeitslosenrate ist in Griechenland auf 22,5 Prozent explodiert – 2007 lag sie noch bei 8,29 Prozent. Das Arbeitslosengeld wird wegen der Sparbemühungen aber nur noch ein Jahr lang ausbezahlt. Danach gibt es keine Unterstützung mehr. Wer seine Miete nicht mehr bezahlen kann, fliegt eben aus seiner Wohnung. Den Krankenhäusern in Hellas gehen die Medikamente aus, Ärzte behandeln oft nur gegen Barzahlung. Tausende Geschäfte sperren zu, die Zahl der Obdachlosen steigt, ebenso wie die Selbstmordrate. Besonders betroffen ist die Jugend: In Italien suchen bereits 36 Prozent der unter 25-Jährigen vergeblich einen Job. In Spanien hat die Jugendarbeitslosigkeit die Grenze von 50 Prozent überschritten. Die Proteste der wütenden Bürger hinterlassen oftmals Bilder der Verwüstung und erinnern an Straßenschlachten. All das passiert in einer Europäischen Union, die einst als Friedensprojekt gegründet wurde. Die Perspektive für die arbeitslose Jugend: derzeit aussichtslos. Die politschen Schritte gegen das soziale Dilemma: mehr als überschaubar. So notwendig die Reformen auch sein mögen, irgendwann muss ersichtlich sein, dass die Entbehrung auch etwas bringt. Das ist derzeit nicht der Fall. Kein Wunder also, dass Experten immer lauter vor einer “sozialen Explosion” warnen. Das sollte von der Politik ernst genommen werden. Die Frage, die sich die Politik stellen sollte, ist, ob sich die EU eine verlorene Generation tatsächlich leisten will. Denn letztlich bildet die “lost generation” auch eine große Wählerschaft. Und es sind jene Menschen, die heute protestieren, die den europäischen Gedanken weitertragen sollen. Dafür brauchen sie aber eine Perspektive.

Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: https://www.ots.at/pressemappe/449/aom

 

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