Der Jubel über die Abschaffung der Invaliditätspension ist reichlich verfrüht – Ausgabe vom 25.7.2012
Wien (ots) – Bravo! Die befristete Invaliditätspension wird auslaufen, langsam, aber sicher. Langsam? 2014 mit den dann bis 50 Jahre alten Personen zu beginnen und dann eine Übergangsfrist von 15 Jahren anzuschließen zeugt nicht gerade von Reformtempo. Sicher? Bis 2014 kann noch viel passieren – auf dem politischen Kalender steht unter anderem 2013 eine Nationalratswahl – und bis 2029 erst recht. Das am Dienstag durch den Sommerministerrat gewinkte Reformpaket ist längst nicht so groß und schon gar nicht so umfassend, wie es die Regierung gerne darstellt. Es ist dennoch ein Schritt in die richtige Richtung – vor allem, weil sich die wichtigsten Akteure aus Politik und Sozialpartnerschaft prinzipiell einig geworden sind, dass die Invaliditätspension zur Ausnahmeerscheinung werden soll. Zunächst eben dort, wo sie sehr junge Pensionisten betrifft. Wer mit nicht einmal 50 Jahren in Pension geht, ist ja wirklich ein armer Teufel: Zu den ärztlich festgestellten körperlichen und (immer öfter) psychischen Beschwerden kommt ein beträchtliches Verarmungsrisiko. Invaliditätspensionisten, die mit 957 Euro pro Monat bis an ihr Lebensende (Lebenserwartung eines 50 Jahre alten Mannes: weitere 28,2 Jahre) auskommen müssen, sind wahrlich nicht zu beneiden. Dass dennoch so viele Menschen unter 50 Jahren – 7200 im vergangenen Jahr – in die Pension drängen, ist wohl in vielen Fällen darauf zurückzuführen, dass sie keine Alternative haben. Man redet sich vielleicht ein, dass man den Ruhestand genießt; aber eigentlich hat man ihn sich anders vorgestellt. Genau genommen: Man hat sich auch die Arbeitswelt anders _vorgestellt, den Berufsweg, das Ende der Karriere. Tatsächlich aber zeigt sich für viele Betroffene, dass die Arbeit krank macht. Sie erleben, dass man am Arbeitsplatz schlecht gelitten ist, wenn man älter ist – und als “älter” gilt man für manche Arbeitgeber und einige Kollegen bereits mit Erreichen des 40. Geburtstags. Irgendwann kann man dann nicht mehr. Nicht mehr am bisherigen Arbeitsplatz. Und man stellt überrascht fest: Leider gibt es auch keinen anderen. Bleibt die Flucht in Krankheit und Invaliditätspension. Dieser Fluchtweg wird nun versperrt – und das ist gut so. Aber wie das halt so ist mit versperrten Fluchtwegen: Sie können zur Falle werden. Sozialminister Rudolf Hundstorfer weiß als alter Gewerkschafter natürlich genau um die Forderungen, die der ÖGB vor zehn Jahren an die Regierung gerichtet hat: Damals hieß es, dass eine Erhöhung des Pensionsalters nur dann infrage komme, wenn die Menschen länger bei voller Gesundheit im Beruf bleiben können. Nun muss Hundstorfer selbst dafür sorgen. Und er hat immerhin vielversprechende Ansätze: mehr medizinische Rehabilitation, ein umfangreiches Umschulungsprogramm, ganz nebenbei auch noch ein Maßnahmenbündel für Menschen mit Behinderung. Worum es aber eigentlich geht, ist ein Wandel in der Arbeitskultur: So wichtig es ist, die Probleme einzelner arbeitswilliger, aber vorläufig nicht leistungsfähiger Arbeitskräfte durch gezielte Hilfe anzugehen, so wichtig ist es auch, die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen. Die Menschen brauchen Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen, die das Wohlbefinden fördern und Erkrankungsgefahren abwenden – nicht erst, wenn sie sich dem Pensionsalter nähern.
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