"DER STANDARD"-Kommentar: "Die herausgeforderte Demokratie" von Lisa Nimmervoll

Wie eine veränderte Gesellschaft um eine neue Form des Regiertwerdens kämpft – Ausgabe vom 19.4.2012

Wien (ots) – Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.” So steht es in Artikel 1 der Bundesverfassung geschrieben. Mit gutem Grund. Es gibt keine bessere Regierungsform und Form des Regiertwerdens als die Demokratie. Punkt. Ist so. Ohne Zweifel. Es ist aber auch so, dass dieser schöne, hehre, reine Satz nicht mehr unbedingt stimmt. Nicht nur in Österreich ist die Demokratie in der Krise. Denn “das Recht” oder viele der politischen Spielregeln, nach denen Staaten und zumal globale Verbunde wie die Europäische Union organisiert und verwaltet werden, geht schon lang nicht mehr “vom Volk” oder dessen gewählten Repräsentanten aus. Die wirkmächtigsten Konkurrenzinstitutionen der gewählten Politikerinnen und Politiker sind ganz woanders als im Parlament, eine davon ist zum Beispiel der Internationale Währungsfonds. Demos – das Volk, das Staatsvolk – gerät jedenfalls zusehends ins Hintertreffen im Kampf um kratia, die Herrschaft – oder klinkt sich bewusst aus. Auf der Ebene der konkreten politischen Subjekte lässt sich mittlerweile aber auch sagen: Die Demokratieretter sind unter uns und wollen die lädierte Herrschaftsform ihrer Wahl in die Werkstatt zur Reparatur bringen. Honorige “Altpolitiker” begehren in einer bunten Notwehrkoalition Demokratie für “MeinOE”, junge Parteikader auf dem Sprung nach oben legen Demokratiepakete vor, die abgehängten Mutterparteien unterstützen sie geflissentlich und wollen “den Ruf” der Politik – und ihren eigenen – retten, indem sie ihr eine Injektion mehr und modernerer Demokratie verpassen – und dann gibt es noch jene, die im Internet die politische Agora der Zukunft sehen. Das alles sind positive Zeichen, dass die Botschaft der Krise der Demokratie angekommen ist bei denen, die sie repräsentieren. Denn es ist vor allem eine Krise der Repräsentation, und die ist eine der Präsentation. So wie sich demokratische Politiker geriert, abgeschlossen und in den eigenen Zirkeln machtbewusst reproduziert haben, war das ein Selbstangriff auf die Demokratie. Die Politik hat einen Hautgout bekommen, und immer mehr Menschen haben die Nase voll von dem, was sie an Politik vorgesetzt bekommen. Das liegt an den Personen, ja. Das liegt an den Strukturen, die oft antiquiert sind und nur noch machtpolitische Funktion haben wie der Föderalismus in vielen Bereichen. Das liegt aber auch daran, dass die Demokratie selbst mitwachsen muss mit der Republik, in der sie ihr Hochamt feiern soll. In einer Gesellschaft, in der zum Beispiel Transparenz ein immer größeres Thema wird aufgrund technologischer Veränderungen durch das Internet, reicht es nicht, das “Volk” mit ein paar Wahlen abspeisen zu wollen, sich aber hinter einem vertuschenden Parteienfinanzierungsgesetz zu verstecken. Oder mehr gesellschaftlicher Eigensinn muss ein Pendant in neuen Mitbestimmungsformen über direkte Demokratie finden, sonst wächst die Gesellschaft aus der zu klein gewordenen Demokratie heraus. Daran entzündet sich das Unbehagen der Demokratieherausforderer. Aber nicht nur die Politiker müssen demokratiefähig gemacht werden. Ein demokratisch verfasster Staat muss mehr tun, als dem Arbeitsmarkt mit diversen “Kompetenzen” ausgestattete Werktätige zu liefern oder aus Kindern möglichst gut funktionierende Konsumenten von morgen zu machen – er muss widerspruchsfähige Staatsbürger erziehen. Sie werden Demokratie fordern und herausfordern.

Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: https://www.ots.at/pressemappe/449/aom

 

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .