"DER STANDARD"-Kommentar: "Die Eurorettung, ein Drahtseilakt" von Eric Frey

Nur die Kombination von Sparpolitik und Hilfsgeldern bietet politisch eine Lösung – ausgabe vom 1.10.2012

Wien (ots) – Wenn Staaten überschuldet sind und private Investoren neue Kredite verweigern, gibt es zwei Möglichkeiten, um den Staatsbankrott zu vermeiden: Entweder sie ziehen sich selbst aus der Patsche, indem sie radikal sparen, oder sie erhalten Hilfe von außen.

Beide Wege haben aus ökonomischer Sicht unerwünschte Nebenwirkungen: Ein drastischer Sparkurs treibt das Land in eine Rezession, durch die sich die Überschuldung kurzfristig noch weiter erhöht. Externe Hilfe wiederum führt oft dazu, dass ein Land zu wenig tut, um die Ursachen seiner Misswirtschaft zu bekämpfen. Dieser “moral hazard” fördert Verantwortungslosigkeit und legt den Grundstein für zukünftige Krisen. Seit Beginn der Schuldenkrise in der Eurozone haben die Europäer einen Mittelweg zwischen diesen beiden unbefriedigenden Optionen eingeschlagen: Die überschuldeten Länder erhalten Hilfe, müssen aber selbst zu ihrer finanziellen Sanierung entscheidend beitragen. Deshalb gab es von europäischer Seite zuerst bilaterale Kredite, dann den temporären Rettungsschirm EFSF und nun den ESM plus Bankenunion – und dazu die steigenden monetären Hilfsaktionen der Europäischen Zentralbank. Und gleichzeitig müssen die betroffenen Staaten Ausgaben streichen, Beamte abbauen, Steuern erhöhen und öffentliches Eigentum privatisieren – und das alles unter der strengen Aufsicht der Troika. All das dient dem Zweck, das Szenario von Staatspleite und Eurokollaps zu vermeiden. Denn das wäre eine Katastrophe für alle. So vernünftig dieser große Kompromiss auf den ersten Blick auch wirkt, so schwierig ist er in der Realität umzusetzen. Denn als sich die Krise vertiefte und ausweitete, mussten beide Seiten ihren Einsatz immer weiter erhöhen. Doch dabei wuchs auch die Überzeugung, dass die eigene Seite die Opfer bringt, während die andere aus ihren Verpflichtungen flüchtet. Und lautstarker politischer Widerstand auf einer Seite senkt die Bereitschaft des Gegenübers, das Notwendige zu tun. Genau das erleben wir heute: In den meisten Schuldnerländern stocken Budgetsanierung und Strukturreformen, dafür stehen Deutschland Co etwa bei der Schaffung einer effektiven Bankenunion auf der Bremse. Die Eurorettung erweist sich immer mehr als politischer Drahtseilakt ohne Netz, beim dem jeden Augenblick ein Absturz möglich ist. Sollte das tatsächlich passieren, dann ist die Schuld auf beiden Seiten zu suchen. Die Demonstranten in Madrid und Athen, die den Sparkurs verdammen, sind das Gegenstück von Bundesbank-Chef Jens Weidmann und jenen deutschen Ökonomen, die gegen weitere Hilfsgelder wettern. Beide haben wirtschaftlich teilweise recht, aber politisch völlig unrecht: Denn nur in einer Kombination beider Strategien ist ein Ausweg aus der Krise vorstellbar. Umso bedrückender ist es, dass so viele Kommentare aus der Politik und in den Medien immer nur die Schwächen des einen Weges aufzeigen und den Blick auf das Ganze verweigern. Trotz des Störfeuers von allen Seiten schreiten EU-Kommission, EZB und die Regierungschefs der Eurozone auf dem schmalen Grat weiter voran. Aber je langsamer sie sich bewegen, desto größer wird die Absturzgefahr. Europa braucht derzeit daher keine großartigen neuen Visionen und Institutionen. Den mühsamen Euro-Kompromiss politisch ins Ziel zu bringen ist Herausforderung genug.

Rückfragehinweis:
   Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445 

Digitale Pressemappe: https://www.ots.at/pressemappe/449/aom

 

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