DER STANDARD-Kommentar: "Der Flüchtlingsprotest als Chance" von Irene Brickner

„Die Härten des Asylsystems sind jetzt Thema, ein Reformdiskurs täte not“; Ausgabe von 04.01.2013

Wien (ots) – Am Mittwoch unterhielt sich Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (VP) mit hungerstreikenden Flüchtlingen, die tiefgreifende Änderungen im Asylwesen fordern. Wer das vor einem Monat vorhergesagt hätte, der oder die wäre, je nach politischer Einstellung des Zuhörers, belächelt oder beschimpft worden. Denn Anfang Dezember kamen Asylwerber im öffentlichen Diskurs vor allem in Zahlen- und Prozentform vor: Sind ihrer im Flüchtlingslager Traiskirchen zu viele? Und wenn ja, wo sollen sie stattdessen hin, in welches Bundesland? Wer frisst die Krot? In dieser Diskussion wurden Schutzbedürftige, um deren Unterbringung, also Wohl, es doch ging, rein als menschliche Verschubmasse gehandelt. Ihr Recht, etwas zu wünschen und zu fordern, hatten sie mit dem Stellen ihres Asylantrags verwirkt. Es sei denn, am Ende ihres Verfahrens wehrten sie sich mit letzter Kraft gegen eine für sie existenziell gefährdende Abschiebung. So lief – und läuft – es in Sachen Asyl in Österreich seit Jahren, tausende Betroffene haben das bereits mit Recht als würdelos empfunden. Und Ähnliches geschieht vielfach in der EU als Ganzer, etwa bei der Anwendung der Dublin-II-Verordnung, laut der Asylverfahren im Ersteintrittsland eines Flüchtlings durchzuführen sind. Die Richtlinie steht derzeit zur Novellierung an. Und zwar sollen künftig – eine Novität! – bei Verschickungen in gewissem Ausmaß sogar die Wünsche der betroffenen Asylwerber berücksichtigt werden. An dieser von technischer Härte und breiter Ablehnung geprägten Situation hat bisher auch der von Flüchtlingen und Unterstützern gemeinsam gestartete radikale Protest nichts geändert. Wie sollte er auch, in so kurzer Zeit? So brauchte es Jahrzehnte, um die „Asylanten“-Feindlichkeit in Österreich als politisches Mobilisierungsmittel aufzubauen. Dennoch hatten die Flüchtlingsaktionen mehr Erfolg als jahrelange Vorsprachen bei den politisch Verantwortlichen davor. Das – unter Vorwänden polizeilich inzwischen geräumte – Camp im Sigmund-Freud-Park und das hartnäckige Verharren von dutzenden Flüchtlingen in der kalten Votivkirche haben es geschafft, die bestehenden Missstände zum Thema zu machen, laut genug sogar für die Innenministerin. Ihr kommt der Verdienst zu, den Mut für ein Gespräch aufgebracht zu haben, das Ausgangspunkt für reformorientierte Diskussionen sein könnte – und dringend sollte. Doch warum hat Mikl-Leitner gerade jetzt hingehört? An der Radikalität der Flüchtlinge lag das nicht, sondern vielmehr an dem Umstand, dass sich mit der Caritas und der Erzdiözese Wien zwei in Flüchtlingsfragen gewichtige Player in den Konflikt eingeschaltet haben. Auch wenn diese dazu kamen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: Eine Gruppe pakistanischer Park-Camp-Bewohner, frus_triert über dessen Wirkungslosigkeit, übersiedelte ins nahe Gotteshaus. Seither kann im Grunde von einer Spaltung des Protests gesprochen werden, der ursprünglich von politisierten Asylwerbern und heimischen, aus der Linken stammenden Unterstützern initiiert wurde. Diese waren durch Märsche und Besetzungen der so_genannten Refugee-Bewegung in Deutschland inspiriert. Dass dies in Österreich, wo solche Konflikte ungewohnt sind, derartigen Widerhall findet, ist bemerkenswert. Das sollte als Chance betrachtet werden.

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   Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445 

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