Dem Pionier der Elektrotechnik zum 170. Geburtstag

Am 25. Juni vor 170 Jahren wurde Erasmus Kittler als siebtes Kind des Schneiderehepaars Philipp Michael und Dorothea Maria Kittler in einfachen Verhältnissen in Schwabach geboren. Nach dem Besuch der Volksschule, der Präparandenschule und der Lehrerbildungsanstalt in seiner Vaterstadt war er in Nürnberg als Schulverweser tätig, bildete sich aber abends weiter. Später besuchte er das dortige Realgymnasium. Das Abschlusszeugnis ermöglichte ihm, an einer Technischen Hochschule zu studieren.

So ging er zunächst nach München, später studierte er Mathematik, Chemie und Physik in Würzburg. Dort promovierte er bei Prof. Dr. Kohlrausch zum Dr. phil.. Danach war er Assistent an der Technischen Hochschule, wo er auch habilitierte. Nun verdiente Kittler das nötige Geld, um zu heiraten. Er ehelichte Karoline Hüttlinger, die Tochter eines wohlhabenden Schwabacher Drahtfabrikanten. 1882,  anlässlich der Elektrotechnischen Ausstellung im Münchner Glaspalast, entwickelte er spezielle Messmethoden und Apparaturen, sollten doch die Aussteller für ihre Produkte anstelle von Medaillen detaillierte Gutachten erhalten. Durch diese Aufgabe kam Kittler mit den beteiligten Firmen und  den Mitgliedern der Prüfungskommission zusammen. Dies führte dazu, dass man ihm eine Professur für das Fach Elektrotechnik an der Technischen Hochschule in Darmstadt anbot. 

Ohne lange zu überlegen, nahm er an. Da den dortigen Betrieb gerade einmal 98 Studierende besuchten, führte er Vorträge mit experimentellen Vorführungen durch, die außer den Studenten auch interessierte Darmstädter Bürger besuchen konnten. Die Veranstaltung hatte so regen Zuspruch, dass sie doppelt gehalten werden musste. Viele der Darmstädter dürften so erstmals etwas über diese neue Technologie erfahren haben, die damals noch in den Kinderschuhen steckte. Da Kittler stark an der Verzahnung von Theorie und Praxis gelegen war, wurde ein bescheidenes elektrotechnisches Labor eingerichtet, das ständig verbessert und erweitert wurde. Es entstand ein eigenständiger Lehrstuhl für Elektrotechnik, der erste dieser Art in Deutschland! Die Studierenden wurden zu Elektroingenieuren ausgebildet. Schon bald führte Kittler zusammen mit seinen Studenten Exkursionen zu elektrotechnischen Betrieben durch. Dabei lernten sie elektrische Zug-, Theater und Straßenbeleuchtungen, Straßenbahnen, Seilbahnen etc. kennen. Er selbst wurde von Kommunen und Firmen immer wieder als Berater und Gutachter bei Elektrifizierungsprojekten herangezogen, so u. a. 1888 bei der Errichtung der “Darmstädter Centralstation”, einem der ersten deutschen Elektrizitätswerke.

Kittlers Projekte flossen in seine Vorlesungen mit ein, kamen den Studierenden zugute. Ältere Semester arbeiteten auch an den Projekten mit.  Bei den elektrotechnischen Ausstellungen in Wien (1883), Turin (1884) und Frankfurt am Main (1891) fungierte Kittler als Gutachter. 1899 ernannte der hessische Großherzog Prof. Dr. Kittler zum Mitglied der ersten Kammer der Stände auf Lebenszeit. Als Parlamentarier kämpfte er erfolgreich gegen ausländerfeindliche und antisemitische Strömungen.
Aufgrund der außerordentlichen Lehrbegabung Kittlers und seiner pädagogisch geschickten, praxisnahen Vermittlung dieser neuartigen Technologie, erlangte die Hochschule bald so regen Zulauf, dass sich das Gebäude am Kapellplatz als zu klein erwies. Nachdem der hessische Großherzog Grundstücke des Herrengartens abgab, konnte 1892 mit dem Neubau der Hochschule begonnen werden, der 1903 erweitert werden musste. 1904 wurde ein riesiges Maschinenhaus errichtet, das u. a. auch ein Starkstromlaboratorium beherbergte. Im selben Jahr wurde zwischen den Institutsgebäuden ein von einem Turm bekrönter Hörsaaltrakt erbaut. Bei der Planung der Laboreinrichtungen und den Hörsälen des elektrotechnischen Instituts war Prof. Dr. Kittler maßgebend beteiligt.

Literarisch hinterließ Kittler das zweibändige “Handbuch für Elektrotechnik”, welches 1986 als Reprint erschien.

1915, anlässlich Kittlers Versetzung in den Ruhestand, wurde ihm der Dr.-Ing. ehrenhalber verliehen. 1922 wurden sein 70., 1927 sein 75. Geburtstag in Darmstadt feierlich begangen. Dazu trugen vor allem seine ehemaligen Studenten bei. Letztere errichteten 1930 auch das eindrucksvolle Grabdenkmal auf dem Darmstädter Waldfriedhof.

Während in Darmstadt mit dem Kittler-Hörsaal, der Kittler-Medaille, der Kittler-Professur und einer zu seinen Lebzeiten nach ihm benannten Straße, Prof. Dr. Dr. Erasmus Kittler kein Unbekannter ist, geriet er in Schwabach weitgehend in Vergessenheit. Lediglich die Dr.-Kittler-Straße erinnert an ihn. Um diesen bedeutenden Schwabacher und seine überregionale Bedeutung wieder mehr in den Mittelpunkt zu stellen, arbeite ich zur Zeit an einer umfangreichen, reich bebilderten Biografie, die etwa 250 Seiten umfassen wird.  Davon beschäftigen sich 40 mit 22 Abbildungen versehene Seiten mit Kittlers Beziehung zu seiner Geburtsstadt Schwabach.

Interessierte Schwabacherinnen und Schwabacher haben heute, an seinem Geburtstag, die Gelegenheit, bei einem Stadtspaziergang den jugendlichen Kittler und seine Familie näher kennenzulernen. Die Führung beginnt um 15 Uhr an den Rathausarkaden. Der Eintritt ist frei.

Am Samstag, 16. Juli 2022, findet eine Studienfahrt “Auf Kittlers Spuren” nach Darmstadt statt. Treffpunkt ist um 5.30 Uhr am Schwabacher Bahnhof. Näheres ist bei U. Distler unter Tel.-Nr. 09122/6918370 zu erfahren.
 
Bericht & Photoarchiv: ULRICH DISTLER Schwabach
    

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